In diesem Jahr fand die Tagung der DGPuK-Fachgruppe „Mediensprache – Mediendiskurse“ vom 29.02. bis 01.03.2024 am KIT in Karlsruhe statt. Nicht zuletzt wegen dieses Heimspiels für die Kolleg*innen des Teilvorhabens 5, war MIRKKOMM mit einem Panel vertreten. Orientiert am Thema der Tagung „Verstehen und Verständigung im digitalen Raum“ haben die Teilvorhaben 4 und 5 in ihren Vorträgen die Verständigung unter den Risikobedingungen der COVID-19-Pandemie in den Fokus genommen.

Nach einer Einführung in den theoretischen Rahmen der Projekte durch Hans-Jürgen Bucher präsentierten Johanne Mayer, Bettina Boy, Annett Schulze und Fabian Brand die aktuellsten Ergebnisse und Überlegungen aus den beiden Teilvorhaben. Die anschließende Diskussion zeigte, dass die Inhalte der Vorträge auch für andere Disziplinen wie die Sprachwissenschaft, (Diskurs-)Linguistik oder Rhetorik von hoher Relevanz sind. Es fand über beide Tage hinweg ein reger und fruchtbarer, interdisziplinärer Austausch zwischen Fachgruppenmitgliedern, externen Zuhörer*innen und Vortragenden statt. Im Rahmen der Fachgruppensitzung wurden die beiden Kolleginnen aus Teilvorhaben 5, Bettina Boy und Johanne Mayer, als neue Mittelbausprecherinnen gewählt.

links: Prof. Dr. Hans-Jürgen Bucher (KIT), mittig: Johanne Mayer (KIT), oben rechts: Bettina Boy (KIT), unten rechts: Fabian Brand (BfR) und Dr. Annett Schulze (BfR)

Liste der Vorträge des Panels

Vortrag 1: Strategien der Pandemiekommunikation auf YouTube und Instagram (Johanne Mayer) | Mehr Informationen

Der Beitrag „Strategien der Pandemiekommunikation auf YouTube und Instagram“ geht von der Frage aus, welche Strategien der Verständigung Behörden auf Bundes-, Landes- sowie Kommunalebene einerseits und sog. Neue Intermediäre wie Medical Influencer oder Corona-Kritiker*innen andererseits in sozialen Medien eingesetzt haben. Die Analyse berücksichtigt dabei die krisenspezifischen Funktionen der Kommunikation, ihre multimodale Orchestrierung, ihre thematisch-inhaltliche Ausrichtung sowie die pandemiespezifische Kommunikationsdynamik. Präsentiert wurden Ergebnisse einer Kommunikationsanalyse von über 1400 Instagram-Beiträgen und 700 YouTube-Videos mit COVID-19-Bezug, die aus der Akutphase der Pandemie (01.01.2020-31.03.2022) stammen. Das in einem Top-Down- und Bottom-Up-Verfahren entwickelte Kategoriensystem enthält zahlreiche Haupt- und Unterkategorien u.a. für die inhaltsanalytische Annotierung der Formate, der Akteur*innen, der Themen sowie der Funktionen. Insbesondere die Auswertung der Funktionen verdeutlicht eine zentrale Schwachstelle in der behördlichen Pandemiekommunikation auf Instagram und YouTube: Im Gegensatz zu den Neuen Intermediären, die sich der plattformspezifischen Affordanzen bewusst sind und entsprechend ihre Kommunikation adressatenorientiert, interaktiv sowie emotional gestalten, verfolgen Behörden zumeist eine informationsorientierte Top-Down-Kommunikation, in der die Rezipient*innen zwar adressiert, aber nur in seltenen Fällen in Interaktion einbezogen werden. Im Hinblick auf das pandemische Krisendispositiv sowie den damit einhergehenden kommunikativen Herausforderungen ist eine solche lineare Kommunikationsstrategie seitens Behörden unzureichend, da effektive Krisenkommunikation bzw. Verständigung die Berücksichtigung weiterer Funktionen bedarf (Sellnow et al. 2017). Das im Vortrag präsentierte IDEMI-Modell stellt eine Weiterentwicklung des von Sellnow et al. (2017) konzipierten IDEA-Modells dar und geht von fünf Funktionen aus, die neben kognitiv-rationalen auch affektiv-emotionale Intentionen bedienen: Informations-, Deliberations-, Emotionalisierungs-, Mobilisierungs- und Interaktionsfunktion.

Vortrag 2: Zur Rezeption behördlicher Pandemiekommunikation auf Youtube und Instagram (Bettina Boy) | Mehr Informationen

Der zweite Beitrag „Zur Rezeption behördlicher Pandemiekommunikation auf YouTube und Instagram“ gab Einblick in eine Mixed-Method-Studie, die mittels Blickaufzeichnungen, Leitfadeninterviews, Wissenstest sowie schriftlicher Befragung untersucht, ob und wie Verständigung mit den Adressaten in Zeiten von COVID-19 gelungen ist (zur Methode vgl. Bucher/Boy/Christ 2022). Um das Krisendispositiv zu simulieren, wurden die 118 Teilnehmer*innen mit verschiedenen Szenarien konfrontiert, die für die unterschiedlichen Phasen der Pandemie und die spezifischen kommunikativen Herausforderungen typische Stimuli enthielten: Im Internalisierungsszenario wurden die Testpersonen mit Informationen konfrontiert, die ein Verständnis, eine Sichtweise von Corona vermitteln; im Legitimationsszenario wurden die Testpersonen mit epistemischen Verunsicherungen und Aufklärungsbeiträgen konfrontiert; im Erklärungs- und Begründungsszenario wurden den Testpersonen Erklärungen und Begründungen von Krisenmaßnahmen präsentiert und im Aktions- und Handlungsszenario wurden den Testpersonen Instagram- und YouTube-Beiträge gezeigt, die das Einhalten von Schutzmaßnahmen und die Impfbereitschaft positiv beeinflussen sollten. Die Auswahl der insgesamt 25 Instagram-Beiträge sowie 11 YouTube-Videos erfolgte auf Grundlage der im ersten Vortrag vorgestellten Kommunikationsanalyse und repräsentiert die Pandemiekommunikation sowohl von Behörden als auch von Neuen Intermediären im Hinblick auf kommunikative Funktionen, multimodale Gestaltungsmerkmale, Formate sowie Akteure. Ziel der Rezeptionsstudie ist es, Aufschluss über die kognitiven bzw. affektiven Effekte multimodaler Krisen- und Risikokommunikation sowie über die Handlungsbereitschaft seitens der Bürger*innen in der COVID-19-Pandemie zu erlangen, um systematische Zusammenhänge zwischen der multimodalen Gestaltung der Pandemiekommunikation in sozialen Medien und deren Kommunikationserfolg rekonstruieren zu können. Im Rahmen des Vortrags wurde auf die Frage eingegangen, inwieweit es den Instagram-Beiträgen und YouTube-Videos gelungen ist, den Rezipient*innen Wissen zu vermitteln, sie zur Einhaltung von Schutzmaßnahmen zu motivieren und ihnen Handlungsaufforderungen eindeutig zu kommunizieren.

Vortrag 3: Im Spannungsfeld von Restriktionen und Rechten: Diskursive Konstruktionen von ‚Freiheit‘ in der digitalen Pandemiekommunikation von Behörden (Dr. Annett Schulze / Dr. habil. Dinah Leschzyk) | Mehr Informationen

Das Coronavirus SARS-CoV-2 erschütterte das tägliche Leben und die sozialen Strukturen weltweit. Inmitten rascher Entscheidungen zur Eindämmung des Virus spielte die Klärung individueller Freiheitsrechte eine zentrale Rolle im Verständigungsprozess um pandemiebedingte Maßnahmen wie der AHA-Regeln, den Testverfahren oder den Impfungen. In diesem Kontext adressierte der Vortrag, wie das Thema ‚Freiheit‘ in der Online-Kommunikation während der COVID-19-Pandemie dargestellt und diskutiert wurde. Es wurde analysiert, wie verschiedene behördliche Akteure auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene in ihren Tweets das Konzept ‚Freiheit‘ in Bezug auf pandemiebedingte Maßnahmen und Beschränkungen interpretieren – und wie in Kommentaren darauf reagiert wird. Das analysierte Material umfasst über 500 Tweets sowie mehr als 8.300 Kommentare zu diesen. Erfasst wurden Kurzmitteilungen der beiden ersten Pandemiejahre (Januar 2020 bis Februar 2022), die im Kontext der Bund-Länder-Beschlüsse lanciert wurden. Besonderes diskursanalytisches Augenmerk wird auf die Verwendung verbindlicher Formulierungen, rechtlicher Setzungen und expliziter Lexik gelegt, die Freiheiten tangieren. Gleichzeitig werden unverbindliche, optionale und implizite Darstellungen von ‚Freiheit‘ analysiert, um ein umfassendes Bild der Diskurslandschaft zu erhalten. Die Ergebnisse zeigen, dass das Verständnis und die Darstellung von ‚Freiheit‘ in der Pandemiekommunikation vielschichtig und komplex sind. Sie werden von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst, darunter die spezifischen Kommunikationsbedingungen des Internets und die volatilen Wissensvoraussetzungen über das Virus. Der Vortrag betonte die zentrale Rolle von ‚Freiheit‘ in den Verständigungsprozessen während der Pandemie und die Herausforderungen, die sie für die Krisenkommunikation darstellt. Er lieferte Einblicke in die Komplexität und Nuancen des Freiheitsdiskurses in Zeiten einer globalen Gesundheitskrise und betonte die Notwendigkeit einer effektiven Risiko- und Krisenkommunikation, die sowohl die Bedeutungen von ‚Freiheit‘ als auch die spezifischen Herausforderungen sozialer Medien berücksichtigt.

Vortrag 4: Entgrenzung der Akteure und Grenzen der Verständigung (Fabian Brand) | Mehr Informationen

Mit dem Begriff der „Infodemie“ hat die Weltgesundheitsorganisation WHO auch darauf aufmerksam gemacht, dass mit der Vervielfältigung der Kommunikatoren in einer Pandemie eine koordinierte Gesundheitskommunikation ausgehebelt werden kann (UN 2020). Der Beitrag befasste sich mit der Rolle, die neue, nicht-institutionelle Akteure in der Pandemie gespielt haben. Ziel war es, für diese Gruppe einen Akteursbegriff zu entwickeln, der diskursanalytisch genutzt werden kann. Der Beitrag stützte sich dabei auf den Begriff der Prosumenten/innen, der in der soziologischen Diskussion um Prozesse der Disintermediation und Plattformisierung im Internet eine Renaissance erlebt hat. In der jüngsten Literatur werden mit diesem Begriff dabei oftmals Akteure zu fassen versucht, die auf Wikis, Blogs oder in sozialen Netzwerken Ideen und Beiträge sowohl konsumieren als auch produzieren. Der Vortrag diskutierte im Rückgriff auf ökonomische, kommunikationswissenschaftliche wie auch differenzierungstheoretische Konzeptualisierungen des Begriffes, weshalb ein solches Verständnis zu kurz greift und inwieweit der Begriff der Prosument/innen angesichts der oben beschriebenen Tendenzen einer theoretisch informierten Rekonzeptualisierung bedarf (Stichweh 2016). Mit Blick auf die öffentliche Kommunikation im Rahmen der COVID-19-Pandemie wurde ein alternativer Vorschlag zur Definition und Operationalisierung von „Prosument/innen“ unterbreitet. Zugleich skizzierte der Vortrag mögliche Anknüpfungspunkte eines rollentheoretischen Verständnisses von „Prosument/innen“ für eine Diskursanalyse der Online-Kommunikation zur COVID-19-Pandemie. Damit gerieten digitale Grenzkämpfe in den Fokus, in denen die Grenze zwischen anerkanntem und marginalisiertem Wissen öffentlich ausgehandelt wird (Wenninger 2019).

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