Vom 20. bis 22. September 2023 fand an der Universität Passau die gemeinsame Jahrestagung der Fachgruppen Wissenschaftskommunikation und Journalistik/Journalismusforschung der DGPuK zum Thema „Gesellschaftswissen schaffen – Chancen und Herausforderungen für Journalismus und Wissenschaftskommunikation im digitalen Zeitalter“ statt. Rund 130 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem deutschsprachigen Raum waren zusammengekommen, um Fragestellungen u.a. zum Vertrauen in die Wissenschaft, zur Wissenschaftskommunikation in sozialen Netzwerken sowie zum Verhältnis von Wissenschaft und Journalismus zu diskutieren.
Im Panel „Covid und die Folgen“ gaben Bettina Boy und Johanne Mayer vom Karlsruher Institut für Technologie Einblick in das Teilvorhaben 5, das von Hans-Jürgen Bucher geleitet wird. In ihrem Vortrag „Die Covid-19 Pandemie als Wissenskrise: Multimodale Krisenkommunikation von Behörden in den sozialen Medien Instagram und YouTube – Kommunikationsstrukturen und Rezeptionsbefunde“ erläuterten sie zunächst verschiedene Entgrenzungsdimensionen der Pandemiekommunikation und präsentierten anschließend Befunde zur COVID-19-Kommunikation auf Instagram und YouTube sowie deren Rezeption durch Bürgerinnen und Bürger.
v.l.n.r.: Johanne Mayer (KIT), Bettina Boy (KIT)
Um der zeitlichen Entgrenzung der Pandemie als dynamische Langzeitkrise Rechnung zu tragen, stellte Johanne Mayer ein im MIRKKOMM-Konsortium entwickeltes Phasenmodell vor, das den Untersuchungszeitraum Januar 2020 bis März 2022 in acht Phasen mit unterschiedlichen kommunikativen Aufgaben und Herausforderungen unterteilt. Des Weiteren ging sie auf die Entgrenzung der AkteurInnen und die damit verbundene Fragmentierung der Kommunikation ein: Es gibt nicht die eine Pandemiekommunikation, sondern sie resultiert aus den spezifischen Kommunikationslogiken der jeweiligen AkteurInnen (bspw. Logik der Wissenschaftskommunikation, Logik der politischen Kommunikation usw.). Da Pandemiekommunikation multiplen Anforderungen genügen muss und neben kognitiv-rationalen Intentionen – wie Wissensvermittlung – auch emotional-affektive Intentionen – wie Vertrauensbildung – verfolgen sollte, lässt sich für die Pandemiekommunikation auch eine funktionale Entgrenzung feststellen: Es bedarf einer Kommunikationsstrategie, die neben der Informationsfunktion noch weitere Funktionen wie zum Beispiel die Emotionalisierungsfunktion oder die Mobilisierungsfunktion erfüllt.
Nach einem kurzen Überblick über das Studiendesign und die im ersten Projektabschnitt durchgeführte Kommunikationsanalyse von über 1400 Instagram-Beiträgen und 700 YouTube-Videos ging Bettina Boy auf die in Karlsruhe und Berlin durchgeführte Rezeptionsstudie ein. Um die Dynamik der Langzeitkrise Pandemie und die damit einhergehenden unterschiedlichen Funktionsanforderungen usw. im Labor abbilden zu können, wurden die 118 Probandinnen und Probanden mit Instagram-Beiträgen und YouTube-Videos konfrontiert, die für die Kommunikationssituation in den unterschiedlichen Pandemiephasen prototypisch waren.
Erste Befunde aus den Wissenstests und Leitfadeninterviews legen nahe, dass Instagram-Beiträge bzw. sogenannte Carousels besser dazu geeignet sind, Faktenwissen zu vermitteln. (YouTube)-Videos schneiden im Vergleich bei der Wissensvermittlung quantitativ schlechter ab, sie sind jedoch besser dazu geeignet die „Take-Home-Message“, also die Kernbotschaft des Beitrags, zu vermitteln. Die Gründe für die niedrigen Werte im Bereich der Wissensvermittlung bei den Videos liegen in ihrer multimodalen Komplexität und der Art der Produktion. Sie sind dynamisch, was bedeutet, dass die Betrachter die Informationen in der vom Video vorgegebenen Zeit aufnehmen müssen. Im Gegensatz dazu können die Instagram-Carousels nicht-linear und im eigenen Tempo angesehen werden. Außerdem ist die Modale Dichte der Videos höher als die der Instagram-Posts, wodurch der Rezeptionsaufwand steigt.
Eine zentrale Frage im Bereich der Krisenkommunikationsforschung ist, wie das Beitragsformat und die Quelle der Information die Wahrscheinlichkeit beeinflussen, dass Bürgerinnen und Bürger Schutzmaßnahmen ergreifen. Eine These lautet, dass Handlungsempfehlungen eher befolgt werden, wenn die Botschaften von einem Testimonial oder einem Politiker stammen. Daher war es eine grundlegende Frage der Rezeptionsstudie, welcher Kommunikator mit welchen Formaten die Handlungsbereitschaft am ehesten positiv beeinflussen kann. Allerdings zeigen die untersuchten Beispiele, dass die Einhaltung von Maßnahmen eher von der Gestaltung der Information als von der Reputation des Kommunikators abhängt. Die Beispiele verdeutlichen außerdem, dass Wissenschaftskommunikation in Krisen auch durch Behörden betrieben wird, da neue wissenschaftliche Erkenntnisse und ihre Konsequenzen an eine breite Öffentlichkeit vermittelt werden sollen. Die Kommunikation von Daten und Fakten aus wissenschaftlichen Studien und die daraus resultierenden Handlungsempfehlungen werden als sehr motivierend wahrgenommen, allerdings nur, wenn die Informationen leicht verständlich aufbereitet werden, wenn also die modale Kohärenz gewährleistet ist.
Besonders die beschriebenen Entgrenzungsprozesse der Kommunikation ließen sich im Rahmen der Tagung auf viele weitere Vorträge übertragen und führten so zu einem fruchtbaren Austausch zwischen den verschiedenen Disziplinen.