Abschlussbericht von Prof. Dr. Martin Löffelholz und Johanna Radechovsky
Das von der Internationalen Forschungsgruppe Krisenkommunikation an der Technischen Universität Ilmenau unter der Leitung von Professor Martin Löffelholz durchgeführte und vom damaligen Bundesministerium für Bildung und Forschung von November 2021 bis Oktober 2024 geförderte Teilvorhaben hatte das Ziel, die Herausforderungen und Optimierungsmöglichkeiten staatlicher Risiko- und Krisenkommunikation im föderalen System Deutschlands während und nach der COVID-19-Pandemie zu untersuchen. Dabei standen Bund, Länder und Kommunen gleichermaßen im Fokus. Als theoretische Grundlage diente ein selbst entwickeltes Modell, das auf einem sozialintegrativen Ansatz der Organisationskommunikation aufbaute und um intra- und interbehördliche Faktoren erweitert wurde. Das Modell integrierte institutionelle, instrumentelle und symbolisch-relationale Aspekte der Risiko- und Krisenkommunikation und bildete die Basis für die drei empirischen Untersuchungen (siehe Abbildung).

Zentrale Herausforderungen staatlicher Risiko- und Krisenkommunikation
In 55 teilstrukturierten Interviews mit 71 Vertreter*innen aus Bundesministerien, Landesregierungen, Kommunen und Gesundheitsämtern wurden zentrale Herausforderungen der staatlichen Risiko- und Krisenkommunikation identifiziert. Die Gespräche dauerten im Durchschnitt eine Stunde, involvierten zwischen ein bis fünf Gesprächspartner*innen, wurden überwiegend per Videokonferenz geführt und anonymisiert ausgewertet. Deutlich wurde, dass viele Behörden in der Pandemie vor allem auf Fehlervermeidung setzten, was zu Unsicherheit und mangelnder Verlässlichkeit führte. Häufig mussten getroffene Aussagen aufgrund der dynamischen Lage kurzfristig revidiert werden, was den Eindruck inkonsistenter Kommunikation verstärkte. Föderale Vielstimmigkeit und inkohärente Kommunikation erwiesen sich als große Schwächen, die oftmals durch parteipolitische Interessen und Wahlkämpfe verschärft wurden. Ein Beispiel hierfür waren Ministerpräsidentenkonferenzen, nach denen unterschiedliche Bewertungen an die Öffentlichkeit gelangten und so das Vertrauen in staatliches Handeln untergruben. Viele Kommunen berichteten, dass sie wichtige Informationen oft erst über die Medien erhielten und nicht über offizielle Kanäle. Die Vielzahl und kurzfristige Änderung von Verordnungen und die einseitige Kommunikation der Landesbehörden führten zusätzlich zu Verwirrung und erschwerte eine konsistente Umsetzung auf lokaler Ebene.
Auch der Umgang mit Desinformation stellte eine große Herausforderung dar. Zwar bauten viele Behörden ihre Präsenzen in sozialen Medien wie Instagram oder YouTube aus, um direkter mit der Bevölkerung in Kontakt treten zu können. Allerdings gingen die meisten Akteure mit Falschinformationen defensiv um und vermieden aktive Gegenstrategien, aus Sorge, den Fehlinformationen zusätzliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Stattdessen wurde auf faktenbasierte Kommunikation und Aufklärung gesetzt, wobei einige Kommunen gezielt in den Dialog mit kritischen Bürger*innen traten. Als Optimierungsvorschläge forderten die Befragten eine stärker dialogorientierte, partizipative und transparente Kommunikation. Während die politisch Verantwortlichen auf Länderebene eine bessere Einbindung und Förderung der Kommunen forderten, wünschten sich Kommunalvertreter insbesondere mehr Möglichkeiten für Krisenübungen, Weiterbildungen im Bereich Risiko- und Krisenkommunikation sowie eine systematische Evaluation bisheriger Krisenerfahrungen.
Parallel wurden in dem Teilvorhaben über 2000 amtliche Dokumente von Bund, Ländern und Kommunen gesammelt und auf Landesebene deskriptiv analysiert. Die 1361 Dokumente der Bundesländer zeigten, dass knapp zwei Drittel bereits am Tag der Veröffentlichung oder lediglich einen Tag später in Kraft traten. Diese enge Taktung bestätigte die Kritik der Kommunen, dass sie kaum Zeit zur Umsetzung der auf Länderebene angeordneten Maßnahmen hatten. Zudem offenbarte die Dokumentenanalyse erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern hinsichtlich Formalia, Zuständigkeitsregelungen und Veröffentlichungsprozessen, womit Ergebnisse aus den Interviews quantitativ untermauert wurden.
Optimierungsbereiche staatlicher Risiko- und Krisenkommunikation aus kommunaler Sicht
Um die Generalisierbarkeit der qualitativen Ergebnisse zu prüfen, wurden zwei repräsentative Befragungen von kommunalen Verwaltungen und Gesundheitsämtern durchgeführt. In der ersten Welle im Frühjahr 2023 beteiligten sich knapp 39 Prozent der angeschriebenen Kommunen. Der Fragebogen umfasste 19 Fragen mit 102 Antwortoptionen und wurde in Kooperation mit kommunalen Spitzenverbänden vorgetestet. Die Mehrheit bewertete die eigene Krisenkommunikation positiv, insbesondere die internen Abläufe während der Impfkampagne. Mehr als die Hälfte sah sich gut auf zukünftige Großkrisen vorbereitet. Gleichzeitig wurden deutliche Defizite in der Zusammenarbeit mit übergeordneten Ebenen sichtbar. Landesregierungen reagierten u.a. zu langsam, gaben zu wenig Unterstützung und informierten oft Medien vor den Kommunen.
Faktorenanalysen zeigten drei zentrale Optimierungsbereiche: (1) die Verbesserung des Krisenmanagements durch aktualisierte Pläne, stärkere Krisenteams, Schulungen und Simulationen, (2) die Stärkung der externen Kommunikation, etwa durch mehr Präsenz auf sozialen Plattformen und systematische Auswertung von Bürgeranfragen sowie (3) die Optimierung grundlegender Verwaltungsstrukturen, beispielsweise durch funktionsfähigere Websites. Hinsichtlich der erreichten Ziele betonten die Kommunen vor allem drei Kernaspekte: einerseits eine hohe Informationsqualität, andererseits eine stärkere Zielgruppenorientierung sowie zuletzt Transparenz, die auch Offenheit über Fehler einschließt. Eine Typologie der Befragten ergab drei Arten von Kommunen: (1) die optimistischen Generalisten, die ihre Kommunikation als erfolgreich einschätzen und sich gut vorbereitet fühlen, (2) die abwägenden Kritiker, die ihre Zusammenarbeit mit höheren Ebenen skeptisch beurteilen, und (3) die besorgten Spezialisten, die ihre Kommunikation als am wenigsten effektiv erleben und besonders unsicher hinsichtlich zukünftiger Krisen sind.
Die zweite Welle im Frühjahr 2024 konzentrierte sich auf Lehren nach dem offiziellen Ende der Pandemie. Befragt wurden 416 Kommunalverwaltungen, von denen gut ein Viertel antwortete. Während die Gesundheitsämter diesmal nicht mehr berücksichtigt wurden, standen andere Krisen wie die Flüchtlingssituation und die Energieproblematik im Vordergrund. Insgesamt bewerteten die Befragten ihre Kommunikation mit Bürger*innen sowie die Kooperation mit Medien weiterhin überwiegend positiv. Kritischer blieb die Einschätzung der Zusammenarbeit mit den Landesregierungen. Ein Drittel beklagte anhaltenden Zeitdruck und unzureichende Information, mehr als ein Fünftel sah Mängel beim Umgang mit Desinformation und unklare Rechtslagen.
Gleichzeitig wurden deutliche Fortschritte sichtbar. Viele Kommunen gaben an, kohärenter kommuniziert und ihre eigenen Entscheidungen klarer erläutert zu haben. Die Zusammenarbeit mit Sicherheitsorganisationen sowie mit Kammern und Verbänden verbesserte sich signifikant. Während die Größe der Krisenstäbe nachließ, wurde Personal im Kommunikationsbereich aufgestockt. Zahlreiche Kommunen aktualisierten ihre Krisenpläne, führten Krisenübungen durch, bildeten Mitarbeitende in Kommunikation und Management fort und nutzten soziale Medien stärker. Diese Entwicklungen zeigen eine zunehmende Professionalisierung der kommunalen Krisenkommunikation und weisen auf Lernprozesse hin, die über die Pandemie hinausreichen.
Die Zusammenführung der qualitativen und quantitativen Daten verdeutlichte, dass strukturelle Probleme wie unklare Zuständigkeiten, politische Überlagerungen und Ressourcenknappheit systematisch verbreitet sind. Zugleich bestätigte sich, dass Kommunen trotz dieser Schwierigkeiten in der Lage sind, ihre Kommunikationsstrukturen zu verbessern und aus Erfahrungen zu lernen. Als Kernerkenntnis gilt, dass föderale Mehrstimmigkeit und fehlende Kohärenz zwischen Bund, Ländern und Kommunen zentrale Schwachpunkte darstellen. Gleichzeitig verdeutlichten die Befunde die Relevanz und den Bedarf einer stärkeren Unterstützung der kommunalen Ebene durch Land und Bund, klarer Kommunikationsstrukturen und einer konsequenten Vorbereitung durch Übungen und Qualifizierungen.
Zusammenfassung und Ausblick
Die Projektergebnisse wurden bzw. werden in mehreren Publikationen vorgestellt, darunter das Handbuch Kommunale Krisenkommunikation, das 2026 in Kooperation mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe erscheinen wird, sowie das Handbuch Krisenkommunikation in der Pandemie, welches 2026 im Verlag Springer veröffentlicht wird. Darüber hinaus wurden die Befunde auf nationalen und internationalen Konferenzen vorgestellt und in praxisnahen Publikationen für Behördenmitarbeitende aufbereitet. Lehrangebote an der TU Ilmenau wurden mit Hilfe der Ergebnisse optimiert, insbesondere in Forschungsseminaren und Mastermodulen, die sich mit den Kommunikationsstrategien staatlicher Akteure während der Pandemie befassten. Die Zusammenarbeit mit kommunalen Spitzenverbänden führte zum Aufbau nachhaltiger Forschungs-/Praxisnetzwerke, die nicht zuletzt für die Bewältigung künftiger Krisen von Bedeutung sind.
Insgesamt dokumentiert das Projekt nicht nur die Defizite staatlicher Krisenkommunikation während der Pandemie, sondern zeigt zudem erhebliche organisationale Lernfortschritte, insbesondere auf kommunaler Ebene. Es liefert eine empirisch fundierte Grundlage für die Optimierung staatlicher Risiko- und Krisenkommunikation und verdeutlicht, dass erfolgreiche Krisenkommunikation in föderalen Systemen vor allem durch verbesserte Koordination, klare Zuständigkeitszuschreibungen, dialogorientierte Ansätze der Bürgerkommunikation und systematische Vorbereitung und Evaluation erreicht werden kann. Darüber hinaus leistet das Projekt einen Beitrag zur wissenschaftlichen Fundierung von Weiterbildungskonzepten für Behördenmitarbeitende und zur Entwicklung von Handreichungen, die praktische Orientierung für die Krisenbewältigung in föderalen Strukturen bieten. Damit stellt es einen wichtigen Baustein für die Weiterentwicklung staatlicher Kommunikation in Zeiten multipler Krisen dar.
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